Grotheer's Controlling-Blog

von Manfred Grotheer, Berlin – aus meiner Praxis als Controller

Persönliches

Gelesen: Sahra Wagenknecht „Die Selbstgerechten: Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“

Als „persönlich“, d.h. als meine individuelle Empfindung, möchte ich den Eindruck meiner ersten 5 Stunden mit Sahra Wagenknechts neuen Buch „Die Selbstgerechten: Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ (als Hörbuch) schildern.

Schon kurz nach Erscheinen war es in der ersten Auflage ausverkauft. Seit langer Zeit (Helmut Schmidt ;-)) habe ich kein politisches Buch mehr gelesen. Umso gespannter war ich und beeindruckt bin ich. Bislang lese ich noch ihre Analyse der politischen und sozialen Situation, die an manchen Stellen vielleicht etwas pointiert und überzeichnet wird, was die Aussage dann aber um so greifbarer macht. Ihre Grundkritik gilt den sozial-(wirtschafts-)liberalen Linken, zu denen ich mich entsprechend ihrer Definition vielleicht in meiner Einstellung auch ein wenig selber zurechnen muss. Vermutlich gehören aber viele derjenigen Schüler und Studenten, die, wie ich, auch von den „Alt-68ern“ ausgebildet wurden und im städtischen Milieu leben, zu dieser definierten Gruppe.

Insofern hinterfrage ich ich als „Nebeneffekt“ auch meine Einstellung und mein Verhalten anhand der von Sahra Wagenknecht geschilderten Beispiele. Die Grundaussage dürfte wohl stimmen, dass die „linken“ Parteien aus verschiedenen Gründen in den letzten 30-40 Jahren in Europa einen großen Teil der Wählerschaft verloren haben und die „klassische Klientel“, falls es sie noch gibt, sich zu einem großen Teil in den „linken“ Parteien nicht mehr wiederfindet.

Ein geschildertes Thema ist, dass die Regierung den Wählern zu dienen hat. Regierenden Parteien haben sich häufig „intellektuell“ über große Teile ihrer Wählerschaft hinweggesetzt, wodurch das Heer der „Nichtwähler“, „Politikverdrossenen“ und „Wähler neuer (radikaleren) Parteien zunehmend größer geworden ist.

Als „Linke“ geht es Sahra Wagenknecht insbesondere um die sozial Schwächeren, häufig sogenannte „Verlierer“. Ihr Grundtenor ist aus meiner Sicht: an den Taten (für diese Zielgruppe) sollen Politiker gemessen werden und nicht an ihren Worten oder ihrem Erscheinungsbild (Image).

Grundvoraussetzung ist für sie eine Wiederbelebung des konstruktiven (und weniger emotionalen) Dialogs zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Und dazu muss man sich zunächst einmal gegenseitig zuhören. Ich füge noch zu: mit Respekt und vielleicht hilft auch mehr die Auseinandersetzung mit komplexen Themen in Form des scholastischen Dialoges oder zumindest in Form des aktiven Zuhörens und wenige in Form von Talkshows, in denen emotional Argument gegen Argument gesetzt wird, ohne auf die Argumente des Anderen einzugehen, sondern nur um die eigenen Position bzw. die Position des „eigenen Lagers“ zu vertreten.

Ich bin gespannt, wie meine Eindrücke zu den weiteren Kapiteln sein wird. Meine Erfahrung ist, dass die Analyse tendenziell einfacher ist als die Therapie. Aber in gesellschaftlichen Themen ist immer Bewegung auch wenn man sie kaum wahrnimmt, ähnlich der Bewegung einer Schnecke. Manchmal aber auch revolutionär (siehe „Fall der Mauer“).

Für mich sollte es wieder mehr humanistische und soziale Marktwirtschaft geben, aber ohne soziale „Hängematte“. Gefühlt war das für mich in den 80ern besser, aber seitdem ist vieles geschehen und wahrscheinlich ein Vergleich nicht „fair“: Fall der Mauer, Alterspyramide, Internationalisierung, Automatisierung, …

Beachtenswert ist aber, dass die Länder in Europa mit einer höheren Steuerquote auch eine höhere Zufriedenheit in der Gesellschaft aufweisen.

„Einkommen- und Vermögensteuern waren (2019) in Dänemark mit einem Anteil von 30,7% des BIP die größte Quelle des
Steuer- und Abgabenaufkommens, dahinter folgten Schweden (18,0%) und Luxemburg (16,5%)“ Quelle: https://ec.europa.eu/eurostat/documents/portlet_file_entry/2995521/2-29102020-BP-DE.pdf/04ea48d4-68ad-3c9e-d4b1-dfc9a0cc03bf

In Skandinavien herrscht insbesondere ein geringer Unterschied bei der Einkommensteuergerechtigkeit, was mir mehrere Skandinavier als einen wesentlichen Grund für das höhere Glücksgefühl nannten. https://ec.europa.eu/eurostat/documents/portlet_file_entry/2995521/2-29102020-BP-DE.pdf/04ea48d4-68ad-3c9e-d4b1-dfc9a0cc03bf

Außerdem ist die Steuer eines jeden Einwohners in Schweden (und Dänemark laut eines Kontaktes von mir) transparent. Man kennt die Steuer, die der Nachbar zahlt, aber nicht ihre Herkunftsquellen. Das würde zu einem großen Gefühl sozialer Gerechtigkeit führen. https://www.zeit.de/wirtschaft/2015-03/loehne-steuern-schweden-scheswig?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

Ich versuche daher bei der nächsten Wahl eine Partei zu finden, der ich Umsetzungskompetenz bei Klimaschutz und mehr sozialer Gerechtigkeit zutraue, aber mit Augenmaß. Was ist mit Mühe erreichbar, ohne die gesellschaftlichen Frieden zu gefährden? Noch eine herausfordernde Aufgabe für mich (und andere?) bis zur nächsten Wahl, unabhängig davon, im täglichen Leben sich zu verbessern ohne gleich ein „Heiliger“ werden zu müssen. Der Pfad der Tugend ist durch Abweichung gekennzeichnet 😉

Daher herzliche Dank von mir an Sahra Wagenknecht für die mich inspirierenden Ideen.

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